Dienstag, 22. April 2014

Luxuszug nach Bhopal und zwei Nächte in Sanchi

Es soll meine erste entspannte Zugfahrt werden. Eine Landschaft mit blühenden Choli-Bäumen breitet sich vor mir aus. 

 

Im Luxuszug herrlich gekühlt genieße ich 5 Stunden Zugfahrt in Gesellschaft von Leena, 41 Jahre, aus Delhi, 2 Kinder, die ihren Mann für einen Sonntag in Bhopal besucht (er arbeitet mit 2 Jahresvertrag dort). Sie ist Brahmanin und Anhängerin von 'Saibaba', vom Hinduismus weiß sie ihrer Aussage nach nicht sehr viel. Sie spricht fließend Englisch, arbeitet in einem 'governement office', lädt mich gleich für meine nächste Indienreise nach Delhi ein und gibt mir Tipps für die Weiterreise. Wir unterhalten uns auch über Kinder, Liebes- und Arrangierte Ehen - auf sie trifft beides zu, lächelt sie glücklich .... - unter ihrer Erzählung entsteht ein so anderes Indien, wie ich es täglich draußen sehe - brahmanisch eben.



Wir verabschieden uns am Bahnhof von Bhopal, wo ich mich sofort nach einem Zug nach Sanchi erkundige, das ich im Durchrauschen bereits eine halbe Stunde zuvor gesehen habe - aber der Superexpress hält eben nicht überall. Ich habe Glück, denn ein Zug fährt bereits um 15.00 h - eine halbe Stunde Zeit den Bahnsteig zu finden. Leider ist es ein Bummelzug mit 50 Minuten Verspätung, der nochmal 45 Minuten Fahrt braucht. So sitze ich die heißeste Zeit doch wieder brütend am Bahnsteig und es wird 17.00 h bis ich das Nest Sanchi erreiche und im Hotel 'Krischna' ein aufgeheiztes Zimmer beziehe.


Beim Abendessen im Hotel lerne ich die jung gebliebene 67jährige Diane aus USA kennen, die allerdings in Istanbul lebt und mit gefühlten 1,50 m / 50 kg äußerst unamerikanisch, eher indisch adaptiert daherkommt. Wir verplaudern den Abend und beschließen uns die Motorrikscha nach Udaigiri am nächsten Morgen zu teilen. Sie schwärmt mir vom schönen Orccha vor - tja, Gwalior war ein Fehlgriff - ist aber nicht zu ändern bin halt etwas in Zeitnot.





Eine halbstündige gemütliche verkehrsarme Überlandfahrt führt uns früh um 7.30 h über ein malerisches Flüsschen zu in Sandstein gehauenen Höhlentempeln aus dem 4. und 5. Jahrhundert. Erstmals ohne Krücke unterwegs, bin ich happy den Bergrücken hoch und auch auf der anderen Seite wieder runter zu kommen.

 

Die Aussicht ist herrlich - ein angenehmer noch kühler Morgenwind weht und auf der Rückfahrt halten wir noch am Fluss, wo an einem kleinen Hanuman-Tempel die Leute baden und Wäsche waschen.
Diane will zum Zug - ich zur großen Stupa bevor es zu heiß wird - so verabschieden wir uns zurück in Sanchi dummerweise flott ohne Austausch der mailadressen ... - schade.

 

Die große Stupa von Sanchi stammt aus dem 3. Jahrhundert vor Christi und ist somit eines der ältesten religiösen Bauwerke des Subkontinents. Ich bin tatsächlich vor allem von den vier 'Toranas', den in die vier Himmelsrichtungen weisenden Torbogen zur Stupa beeindruckt, die mit äußerst detailreichen Reliefs der Geschichte Buddhas geschmückt sind.
 

Einst Pilgerort unter dem Maurya-Kaiser Ashoka wurde es beständig vergrößert, fiel aber nach dem Niedergang des Buddhismus in eine Dornröschenschlaf und wurde erst 1818 von der Bengalischen Kavallerie wieder entdeckt. Wieder einmal der gute Sir Alexander Cunningham förderte 1851 zwei Reliquienbehälter aus Speckstein mit Knochen zweier namentlich benannter Gefährten Buddhas zutage - sensationell ! ... und so wurde Sanchi ab 1912 wieder zum Pilgerort - die Reliquien werden einmal jährlich hier ausgestellt.
Zwei Stunden lasse ich mir Zeit die Tore und das Stupagelände mit Mauerüberresten auf mich wirken zu lassen - dabei werde ich von Scharen von Sonntagspilgern immer wieder um Fotos gebeten - bis ich scherzhaft die Hand aufhaltend 'Five Rupies' fordere - und in erstaunt- erschrockene Gesichter blicke; bis sie es kapieren und mit mir lachen - und natürlich ihr Foto schießen dürfen.



Um 12.30 h falle ich ermattet ins Museum ein, das sich schnell 'abhaken' lässt und bin dann dankbar für eine ausgiebige Pause im Zimmer. Der Versuch gegen 17.00 h ein Zugticket für den nächsten Tag zu holen scheitert: Der Schalter ist nur bis 16.00 h geöffnet. Drei ATM-Automaten muss ich abklappern, bevor ich zu Geld komme. Morgen steht wieder eine lange Zugfahrt an: Neun Stunden bis Jalgaon - dem Ausgangspunkt für den Besuch der Höhlen von Ajantha und Ellora. 

Irrwitziges Indien: Monatsrückblick IX

Gemessen an der großartigen Vergangenheit scheint Indien gerade ins Steinzeitalter zurückzufallen. Seit drei Wochen bin ich nun unterwegs und wohin ich auch schaue, ist es das gleiche Bild: Alte Tempel und Paläste zeugen von reichen und künstlerisch großartigen Kulturen - und verfallen in schändlicher Weise. Im täglichen Straßenbild der Gegenwart herrschen Chaos und Lärm, Armut und Schmutz, Zerfall und Gleichgültigkeit vor.
Die meisten Menschen, die ich treffe, sind zunächst taxierend auf ihr Geschäft bedacht - viele sind auch einfach neugierig und freundlich (Zugfahrten!).

 

Allein zur Kommunikation bedarf es der englischen Sprache; also einer gewissen Bildung - dann entstehen interessante Gespräche. Nie fühlte ich mich bedroht - nur manches Mal übervorteilt; aber immer muss frau feilschen und kämpfen um Preise, Respekt und Abstand - was auf Dauer äußerst kräftezehrend ist.        Oft blitzt auch ein wenig 'kolonialer' Respekt durch, der mich irritiert: 'Can I help you, Ma'm' - da fehlt nur noch das Ma'm-Sahib ... - oder ist das mein zunehmendes Alter ?  Zwei Mal wurde ich 'Baba' genannt - sehr bedenklich, wie ich finde ; )
Andererseits bin ich eben nur 'on the rail' unterwegs: Auf Bahnhöfen, in einfachen Hotels, an Straßenständen bewegen sich nun mal bloß die einfachen Leute - gutsituierte fahren im eigenen Auto, nehmen den Flieger oder den Luxuszug.
Der Kinderreichtum ist noch immer groß - auch wenn angeblich Hindufamilien nur mehr zwei bis drei Kinder haben. Moslemische Familien, die nur 20% der Bevölkerung ausmachen und 'aufholen' wollen, wie Pradeep sagte, seien mit vier bis fünf Kindern oft auf dem Land lebend ungebildeter, als Hindus. Er ist Hindu und will gar keine Familie ; )


Es gibt traurig viele Bettler und Verkrüppelte (Kinderlähmung), die ihr Leben auf der Straße fristen, bis sie dort vermutlich auch sterben. Dennoch erhalten sie nach meiner Beobachtung so regelmäßig etwas, dass sie damit 'überleben' können. Wen ich nicht getroffen habe, das sind die reichen Inder; die Allerreichsten leben im Ausland, sitzen in Dehli, Mumbai und anderen Großstädten in ihren Glaspalästen, wie ... - ja vielleicht wie Jahrhunderte zuvor die Moghule und Maharadschas, die eben auch nur reich werden konnten, weil das Armutsgefälle hinter ihnen stand. Hat sich also gar nicht so viel verändert ?

 

Das Müllaufkommen gemessen an den Zahlen der Bevölkerung ist sicherlich pro Kopf viel geringer, als in Deutschland - dennoch stinkt es hier mehr zum Himmel, weil es einfach rumliegt ! Jeder kehrt vor seiner Hütte oder Tür, vorm Obststand, vor der Chai-Bude den Dreck zusammen auf ein Häufchen - einen Teil fressen die Kühe, Ziegen, Hunde und Schweine, die nur deshalb heilig sind, weil sie die billigsten Müllschlucker sind ; ) - da bin ich sicher - und die nur deshalb nicht selbst gegessen werden, weil sie völlig müllkontaminiert sind und ihr Verzehr sicherlich schädlich für den Menschen wäre !



Den Müll, der dann noch übrig bleibt, der wird in die Gosse gekehrt, wo er vor sich hin gärt - oder er wird am Staßenrand verbrannt. Kolkata, die mit Abstand sauberste Stadt (zumindest im Zentrum), die ich in Indien gesehen habe, sammelt den Müll eben auf riesiger Halde und ist zwangsläufig um Receicling bemüht. Supermärkte mit Plastikverpackungen habe ich nirgends gesehen, denn dazu gibt es vermutlich gar nicht genug Kühlschränke.

Aloo Gobi Kashmiri mit Lassi

Kühlschränke sind entlang der Straße mit Wasser, Cola und Sprite zum Verkauf gefüllt. Einfache Privathäuser in den Altstadtgassen haben sicherlich keinen - da wird das frisch Geschlachtete in Milch auf dem Steinboden gewälzt und verkocht oder in Salz gewälzt zum Trocknen aufgehängt. Überhaupt sieht frau hier nur ganz selten Fleisch - kein Vergleich zu Südostasien. Die allermeisten Gerichte bestehen aus Fettgebackenem verschiedenster Art, Gemüsen, Linsen-, Erbsen- und Kartoffelgerichten mit vielen verschiedenen Saucen. Selbst Reis ist hier eher Nebensache.






 
Männer unterscheidet frau in vier Gesellschaftsklassen nach den Schuhen und Zähnen:                                 

- Barfuß, schmutzige, zerrissene Kleidung, sehr schlechte oder keine  Zähne = unterste Schicht, arbeitslos, Leben auf der Straße
- Flip-Flops, Plastikschlappen, einfache Kleidung, T-Shirt , braun-rote Zähne = Gelegenheitsjobs, Rikschafahrer, Straßenhändler, Laufburschen
- Turnschuhe/Lederschuhe (altersabhängig), Jeans/Stoffhose, Hemd, leicht verfärbte    Zähne = Studenten,  Angestellte, Ladenbesitzer
- glänzende Lederschuhe, Anzug, Uhr, i-phone, weiße Zähne/ Goldzähne= Geschäftsleute ...


Frauen in westlicher Kleidung habe ich nirgends gesehen; bestenfalls Jugendliche in Großstädten mit Jeans. An der Qualität der Saris, des Schmucks (Armreifen, Ringe, Nasenpiercings) und des Makeups, sowie der Figur (je dünner, je ärmer) lässt sich der Stand leicht zuordnen.  
Internet gibt es nur in größeren Städten in Internetcafés oder AIr-Con-Restaurants. Selbst Hotels haben meistens keinen Netzanschluss - eher selten englische Fernsehsender ! Der Auto-Individualverkehr ist noch immer die Ausnahme. Busse, Motorrikschas, Taxis, dicke Motorräder, großrädrige Gemüsekarren und Fußgänger prägen das Straßenbild. Die Hupgeräusche snd deutlich penetranter, schriller und unerträglich lauter, als in allen südostasiatischen Ländern zusammen - tja, was ist dann toll an Indien ?


Toll ist die unerträgliche Leichtigkeit des Seins, mit der die Menschen den ganzen Irrwitz tragen, leben, mitgestalten, sich freuen, aussitzen, resignieren und täglich neu durchhalten.
Toll ist, dass dennoch die meisten extra einzufordernden Handtücher im Hotel frisch riechen und frau fast überall eine einzelne Klopapierrolle erwerben kann.
Toll ist, dass ein 25-Jähriger das Abendessen im Haus eines Freundes schmeißt, um mich zum Arzt zu fahren und dass ein sofortiger Arztbesuch mit sofort erhältlichen Medikamenten äußerst günstig möglich ist .
Toll ist, dass es auf der Straße immer hilfsbereite Leute gibt, die zumindest versuchen frau weiterzuhelfen - egal wie.
Toll ist, dass es sehr freundliche, geduldige, stets umsorgte Kinder gibt, die nie quengeln oder unnötig schreien; vielleicht weil sie immer in engem Körperkontakt zur  Familie  stehen.
Toll ist, dass mindestens drei Leute, mit denen ich sprach, einräumen, der Frau müsse ein höherer Stellenwert in der Gesellschaft eingeräumt werden - aaaaaber die Tradition ... , das sei  halt so schwer zu ändern - denn noch immer 'bohren die Inder ihre Kinder in einen Kasten, aus dem sie ein Leben lang nicht rauskommen!' (Schüleraufsatz-Zitat, Falkschule 1988)
Toll ist, dass ich trotz erneuten Knieschadens weitergereist bin; dabei hat mir Indien geholfen - denn wie klein ist mein Knieproblem zu den Problemen Indiens ?


Sieben sichere Anzeichen dafür, dass frau sich in Indien befindet:

1. Männer, die im Stehen oder Hocken an Hauswände, ins Grüne, auf die Gleise, in den    Rinnstein, aus dem fahrenden Zug und ins offene Feuer pinkeln.
2. Männer, die überall Kat kauen und den Saft im hohen Bogen auf die Straße, aus dem Busfenster, aus dem Zugfenster, über die Schulter, auf die Straße spucken.
3. Frauen, die Krüge, Warenkörbe, Feuerholz, Reisstroh, Taschen, Pakete auf dem Kopf transportieren und dabei womöglich noch Kleinkinder auf der Hüfte tragen.
4. Kinder, die auf Gepäckablagen in Zügen, am Bahnsteig auf Koffern, vor Läden neben Hunden, über der Schulter des Vaters, im Schoß der Mutter in Lärm und Chaos friedlich schlafen.
5. Verkrüppelte, Blinde, alte Männer und Frauen, die faltig, gebückt, humpelnd und zahnlos an Straßenrändern, in Bahnhöfen, vor Tempeln sitzen und betteln.
6. Frauen und Männer mit roten Punkten zwischen den Augen, die mit Blumenketten, Räucherstäbchen und anderen Gaben in Tempeln den Göttern Kali, Vishnu und Shiva opfern.
7. Papiere, die frau beim Einchecken ins Hotel, Kauf eines Zugtickets, Einholen einer Information im Tourist-Office ausfüllen muss: Name, Wohnadresse, Geschlecht, Alter, angereist aus/Weiterreise nach, Passnummer, Visanummer, Datum, Unterschrift - es lebe die Bürokratie !


Sieben Überlebenstipps auf indischen Straßen/Bahnhöfen und in Hotels:

1. Sich niemals während des Laufens nach hinten umschauen -auch nicht für Sekunden !  Der nächste Schritt könnte in einem Loch, offenen Abwasserkanal, auf einem am Boden liegenden Hund (gerne liegen sie direkt im 'Schatten' hoher Bordsteinkanten !), im Kuhfladen oder Müll landen.

2. Niemals nach dem Preis für eine Motorrikscha fragen - das zeugt von Unwissenheit ! Besser vorher im Hotel oder am Straßenstand fragen und dann selbstsicher Preis und  Zielort  nennen, das reduziert Preis und Verhandlungszeit ! Während der Fahrt dem Gegenverkehr entspannt ins Auge blicken und die Ohren auf 'taub' schalten ! (Zur Unterhaltung und Huplärmübertönung drehen manche Fahrer freundlicherweise noch die Stereoboxen mit exotisch indischen Nervenkillerklängen auf !)

3. Zugfahrten als Teil der Reise genießen ; )                                                                                Express-Züge sind meist doppelt so schnell, wie Busse. Hat frau das komplizierte Ticket-Netz erstmal durchschaut, ist es Kinderleicht:
General-Ticket: Einer zwischen allen - alle zusammengepresst - ... und einer passt immer noch dazu - offene vergitterte Fenster, offene Zugtüren, aus denen die fitesten raushängen. Preisbeispiel: Express, 6 Std. Fahrt, ca. 400 km für 150 Rps. (keine 2 Euro)
Sleeper mit Sitz: Nummerierte Sechser-Bänke, bzw. zwei gegenüberliegende Sitze am Gang - nachts als dreistöckige Liegen belegbar. Schiebefenster, kleine Deckenventilatoren. Preisbeispiel: Nachtzug, 11 Std. Fahrt, ca. 450 km für 235 Rps. (3 Euro) 
Sleeper-Class 1st, 2cnd, 3rd mit Sitz und A/C: Einfache Polsterbänke - nachts mit Kissen und Laken, Schiebefenster AC und Ventilatoren, letztere selbst ausschaltbar. Preisbeispiel: Nachtzug; 6 Std. Fahrt, ca. 350 km für 500 Rps (6 Euro)
Special-Luxus-AC-Express: Einzelpolstersitze zum Teil mit Tischen, 1 Wasserflasche + Mahlzeit inklusive, Air-Con im ganzen Zug, Panoramascheiben. Preisbeispiel: 5 Std. Fahrt, ca. 400 km für 690 Rps. (9 Euro)

4. Rechtzeitig am Bahnhof sein; aber immer mit Wartezeit rechnen !                                                          Auf Bahnhöfen gibt es mitunter winzige, düstere Warteräume mit Stühlen - ansonsten wartet frau stehend, auf eine Mauerecke gequetscht oder einen der begrenzt vorhandenen Drahtbanksitze ergatternd am heißen Bahnsteig - die meisten Familien sitzen am Boden und essen aus mitgebrachten Schraubmetalldosen ihr Thali, Dosa oder was auch immer mit Pita aus der Hand und Wasser aus dem Kanister.

5. Im Hotel zuerst das Zimmer anschauen - Funktion von Dusche und Klospülung prüfen; Handtuch und u.U. sauberes Kopfkissen sofort einfordern - Preisverhandlungen sind eher die Ausnahme ! Bevorzugt Zimmer nach hinten im Erdgeschoss wählen mit mindestens einem Fenster. Fensterlose Zimmer sind selbst mit Fan unerträglich stickig !

6. Immer eine Flasche Wasser im Gepäck haben und ständig trinken, um plötzliche Erschöpfungszustände zu vermeiden ! An Bahnhöfen und Tempeln gibt es oft Trinkwasserstationen, an denen frau die Flasche (anfangs mit Bedenken - später ohne) auffüllen kann !

7. Möglichst in allen Situationen gelassen und geduldig bleiben - vieles  bleibt unverständlich, absolut sinnlos, nervtötend oder unfair - aber: So ist Indien !

Laut, verfallen, teuer: Ein Tag in Gwalior

Entspannt starte ich morgens vom leeren Bahnhof in Khajuraho mit einem General-Ticket, denn der Zug sei leer. Dies trifft für die erste Stunde auch zu. Dann wird es eben doch wieder voll - alles, wie gehabt: Schlafende Kinder in der Gepäckablage, verschenkte Luftballons, hereindrängende Leute, Minimalkonversation und nach insgesamt vier Stunden Fahrt: Flucht in Jhansi aus dem Abteil.

 

Mein Ticket hatte ich morgens spontan nach Gwalior gebucht (hübsches Fort) - in Jhansi müsste ich in den Bus einsteigen, um ins 18 km entfernte Orccha (Tempelruinen) zu fahren - meinem eigentlichen Ziel. Es ist quälend heiß und obwohl eine weitere Zugfahrt ermüdend sein wird, erscheint es einfacher, als den Busbahnhof zu suchen; also steige ich sechs Waggons weiter vorne in den nächstbesten Sleeper wieder ein, wo es auch heiß, aber weniger voll ist.

 

Das hübsche Zimmer ...
Als ich in Gwalior ankomme, ist es nach dem ruhigen Khajuraho ein Schock. Eine riesige laute Stadt, das gepriesene Fort auf einem Sandsteinplateau nirgendwo sichtbar und das empfohlene 'Hotel India' am Bahnhof ausgebucht. Gegenüber im 'Chandralok' gibt es Zimmer ohne Dusche ab 990 Rps aufwärts und meine einstündige Suche per Rikscha zeigt ein immer übleres Bild: Häßlich, düster und überteuert sind alle fünf Hotels, die ich mir anschaue und ich bin normalerweise nicht wählerisch !
Als ich zum 'Chandralok' zurückkehre und mich verzweifelt gebe, erhalte ich schließlich das Zimmer ohne Dusche für 770 Rps. Beim anschließenden Shopping (Abendessen in der Plastiktüte) entdecke ich einen kleinen begrünten Hof mit einem hübschen Haus mit Innenhof und bekomme ein schönes Zimmer mit Dusche und TV für 600 Rps geboten - dumm gelaufen ! Ich verbringe eine muffig warme Nacht im Chandralok und ziehe morgens um 7.00 Uhr sofort um.


Dann lasse ich mich in angenehmer Morgenkühle zum Fort fahren, das riesige Dimensionen hat, aber in äußerst zerfallendem Zustand ist. Über zwei langgestreckte gepflasterte Serpentinen muss ich hochlaufen und entrinne damit in der morgenlichen Kühle dem Lärm und Smog der Stadt.

 
 

Die Aussicht auf die Stadt ist herrlich,die Zwillingstürme des Eingangstores gigantisch und teilweise noch bemalt und gefliest ... - so weit das Postkartenfoto - das war es dann aber auch ! Das Tickethäuschen ist erst ab 9.00 h besetzt, das Tor dennoch offen ...- mein Rundgang am Man Singh Palast dauert nur 20 Minuten; dann habe ich gesehen, dass frau hier nichts verpasst: Karge, ungeschmückte, halb zerfallene Räume mit Nässeflecken; im Hof spielen ein paar Jugendliche Cricket. Beim Weg nach unten gerate ich bereits ins Schwitzen, obwohl es noch nicht einmal 9.00 h ist.

Man Singh Palast

Ein Rundgang durchs Moslem-Viertel ist gleichfalls erschütternd: Hier und da verwittern zwischen all dem Dreck und den rußigen niedrigen Häusern wunderschöne alte Havelis. Die knietiefe, offene, schwarzflüssige Abfallrinne stinkt fürchterlich und ist zusätzlich noch mit Müll gefüllt. Ein Chai am Straßenrand und zwei Bananen sind mein Frühstück - dann besuche ich das kleine Museum, das Steinskulpturen mit überwiegend abgeschlagenen Köpfen präsentiert. Einzig interessantes Exponat: 'Vainayaki' - eine weibliche Ganeshafigur mit Busen - das habe ich noch nirgends gesehen !

Steinlöwe am Museumseingang

Ein gelbes 'Tempo' Nr. 3 (dreirädriger Sechs-Sitzer mit fester Route) bringt mich zum Jai Vilas Palast, den ein exzentrischer Maharadscha im 19. Jahrhundert in einer Mischung aus dorisch-korinthischer Architektur bauen ließ und mit allerlei Teppichen, Silberwaren und Mobiliar aus Frankreich und Europa ausstatten ließ - unter anderem hängt hier der größte Kronleuchter der Welt an der Decke, deren Stabilität zuvor mit dem Aufhängen von acht Elefanten geprüft wurde. Mein Loose-Führer (Dez. 2012) gibt einen Eintrittspreis von 250 Rps an - an der Kasse möchten die Herrschaften 450 + 70 Fotogebühr + 30 Infobroschüre - ersticken sollen sie an ihrem Kitsch !




Ich trinke einen schlechten Kaffee aus einem Pappbecher in der Cafeteria und beschließe mein Geld lieber für ein gutes Essen auszugeben. Das empfohlene 'Blue Fox' im Hotel Shelter ist ruhig, kühl und düster. Ich bin der einzige Gast und bestelle 'Chicken Tikka Masala' 'boneless'! dazu 'Missi Roti' und Tee mit Zitrone - alles recht lecker für 335 Rps kein Schnäppchen, aber ok.

... mit grünem Hofgarten

Abends genieße ich mein hübsches Zimmer und freue mich auf eine Luxuszugfahrt nach Bhopal am nächsten Tag. Mein Bein ist deutlich belastbarer - der Flüssigkeitshaushalt wieder im Lot - mehr kann frau in Indien nicht erwarten.
 

Mittwoch, 16. April 2014

Dehydriert: Hitze und Tempelbesuch in Khajuraho

Nach recht angenehmer Zugnacht mit dennoch wenig Schlaf erreiche ich den Bahnhof gegen 5.30 h und wieder brauche ich für die 8 km entfernte Ortschaft das Motorrikscha-Taxi.


Narajan, 25 Jahre alt, nimmt mich zum Sondertarif mit - der schweigsame Ungar neben mir zahlt angeblich das Dreifache. Natürlich hat er zum Sondertarif auch gleich ein Hotel (daher der Sondertarif ; ) parat - so lande ich im 'Marble Palace'. Für 300 Rupies die Nacht ist es sauber und ruhig - allerdings ohne Tageslicht-Fenster etwas düster und stickig.

Um 7.00 h gehe ich gleich los auf Entdeckungstour zu den Tempeln der Chandella-Kultur aus dem 10. Jahrhundert. Afghanische Eroberer aus dem Norden beschleunigten den Niedergang dieser Kultur. Im 16. Jahhundert waren die Tempel überwuchert und vergessen. Wiedermal die Engländer entdeckten sie 1838 im Dschungel verborgen und erweckten sie restauratorisch zu neuem Leben.


Heute ist das fernab des touristischen Hauptstroms liegende Khajuraho zwar erschlossen, aber noch immer staubig verschlafen und überschaubar klein;aber dennoch mit unglaublichen 50 Shops, die alle Schals, Kleidung, Bronze-Figuren, Steinfiguren im Kleinformat und vieles mehr verkaufen. Für 250 Rupies Eintritt erhalte ich Zugang zu den sieben Tempeln der Westgruppe, die in begrünter Anlage vobildlich restauriert sind.
 

Die filigran gearbeiteten Sandsteinfiguren bestechen durch ihren Detailreichtum und die Fachwelt streitet über die Aussage der erotischen Darstellungen: Einige sehen hier das Kamasutra als Liebesanleitung in Stein dargestellt - andere vermuten, die Götter sollten mit diesen Darstellungen in Wohlgefühl und Milde versetzt
werden.



Für die Engländer des viktorianischen Zeitalters waren die Figuren 'extrem unsittlich und Anstoß erregend'; wobei sie dennoch die 'künstlerisch meisterhafte Ausfertigung' lobten. Mir persönlich gefällt vor allem die harmonische fünfstufige Grundform der Stupas mit der ornamental geschmückten Dachform.




Die sich gummiartig verrenkenden Körperformen der Menschen wirken auf mich eher belustigend und haben in ihrer Wiederholung und auf Grund ihrer Friesanordnung etwas Comichaftes an sich. Die Frauen sind jeweils mit bocchiakugelrunden Brüsten, Wespentaille und runden Hüften ausgestattet - die Männer mit Kopfschmuck und unübersehbarem Penis.

 


 




 


Gegen 11.30 h bin ich zur Zimmersiesta zurück und leihe mir 4 Stunden später ein Fahrrad, mit dem ich die Ostgruppe am anderen Ende des Dorfes erkunde. Viele Läden sind geschlossen und auf den Straßen tobt das junge Volk mit riesigen Lautsprecher-Wagen, aus denen eintönige 'Gangnam-Style'-Musik wummert und pinkfarbene Farbpulver geworfen werden, denn heute ist der letzte Tag der neuntägigen Hindu-Fastenzeit: Rama-Festival.

 

Im Dorf selbst sehe ich noch ruhigere Zeremonien, wo Leute mit Life-Gesang, Trommeln und Grasschmuck-Körben durch die Straßen ziehen. Ich fühle mich müde und ein Schmerz in der linken Nierengegend nimmt mir immer wieder fast die Luft. Eine kalte Sprite leere ich in einem Zug - Hunger habe ich nicht. Nachdem ich pflichtschuldigst auch die zwei östlichen Tempel erradelt habe, beschließe ich zurückzuradeln und mich zu erholen.


Eineinhalb Stunden im Zimmer - eine Dusche - Hitze-, Kältewellen - die Schmerzen werden schlimmer; auf die Toilette kann ich gar nicht. Eine ganze Nacht mit diesen Schmerzen ... ? Um 19.30 h frage ich an der Rezeption nach einem Arzt und der gute Narajan fährt mich auf seinem Motorrad hin. Dr. Gupta beruhigt mich - ich habe Angst erneut Nierensteine zu haben - und verschreibt mir Antibiotika, Vitamine, Elektrolythe und jede Menge Wasser - mindestens 5-6 Liter täglich solle ich trinken - es sei heute 42 Grad Celsius heiß gewesen !
Tatsächlich hatte ich die letzten 24 Stunden höchstens 2-3 Liter getrunken, denn nachts mit Handgepäck und Krücke auf die rüttelnde Zugtoilette zu gehen,  ist absolut kein Spaß !

 Nur der Arztbesuch hat merkwürdigerweise schon die Schmerzen vertrieben - Narajan führt es auf sein 'Magic Motorbike' zurück ; ) Er nimmt mich mit zu einem Freund zum Abendessen, wo ich noch immer nicht hungrig ein bisschen Thali mit Chapati esse. Begeistert erzählt er mir von seiner Freundin aus Amsterdam, die er seit zehn Jahren kennt und die ihn jedes Jahr einmal besuchen kommt. Morgen erwartet er sie - zehn Tage wird sie bleiben - nein, heiraten will er sie nicht - zu kompliziert - er wolle gar nicht heiraten - zu wenig Freiheit. 
Zurück am Hotel - eingedeckt mit Medikamenten - lasse ich mir heißes Wasser für einen Blasen- und Nierentee bringen und lenke mich mit Schreiben von der nächsten Schmerzattacke ab. Erst gegen Mitternacht finde ich Schlaf - als ich erwache, ist es 9.30 h.

Viiiiel trinken !

Ich fühle mich besser, gehe frühstücken, nehme Medikamente, trinke viel und vertrödele den Tag mit viel Ruhe im Hotel. Abends esse ich im Hotel-Restaurant 'Ganesha' ein 'Chicken Masala', das wie so oft hier überwiegend aus Knöchelchen, maximal 12 Gramm Hähnchenfleisch und reichlich Sauce besteht. Chef Pradeep, 35 Jahre unverheiratet,der sonst nichts zu tun hat, gesellt sich zu mir. Wir plaudern zwei Stunden über Gott und die Welt - er würde mir am nächsten Tag gerne mit dem Motorbike die 25 km entfernten Wasserfälle zeigen; aber ich winke dankend ab - für Rinnsale in der Trockenzeit fahre ich nicht in der Hitze spazieren. Er drängt mir seine Karte auf und möchte mich in Orccha treffen - eher nicht, denke ich und verabschiede mich freundlich, aber bestimmt. Wieder so ein selbsterwählter indischer Junggeselle, der sich langweilt ; )

... und ewig fließt der Ganges: Leben und Sterben in Varanasi

Die Zugfahrt nach Murghal Serai Junction - bloß 10 km entfernt von Varanasi - ist entspannt und mit gut drei Stunden nahezu angenehm. Der Horrortrip kommt diesmal per Motorrikscha, denn die lächerliche Strecke ist nicht nur unverschämt teuer - abends um 18.00 h habe ich keine Wahl - sondern straßentechnisch das Übelste, was ich bisher erlebt habe.

Müllverwertung
 Während mein 'Bahnsteiganwerber' mich beplaudert, heizt sein Bruder durch enge staubige Holpergassen, dass mir Hören und Sehen vergeht - was hier auch angebracht ist; denn sonst würde mich der schrill kreischende Hornton der Motorräder und der Anblick der haarscharf vorm Gegenverkehr gerissenen 180 Grad-Wenden schier umbringen. Selbst auf breiteren besseren Straßen ist es so staubig, dass ich meinen Mundschutz  überziehe. Als wir plötzlich den Fluss erreichen, traue ich meinen Augen kaum: Im Slalom zwischen Kühen, Müll, Fußgängern und Lastenträgern, entgegenkommenden Fahrrädern, streunenden Hunden und Motorrädern fahren wir auf eine Holzponton-Brücke zu, die keine 20 cm überm Fluss schwebt und höchstens so breit, wie ein deutsches Doppelbett ist.

Zwei engstehende, senkrechte, rote Stangen an der Zufahrt signalisieren eigentlich     deutlich, dass hier nur Fußgänger und Zweiräder passieren sollten; aber auf ein Rad mehr oder weniger kommt es in Indien eben nicht an. Unsere Karre knattert haarscharf zwischen den Stangen durch, weicht nach links sofort einem entgegen kommenden Fahrrad aus und scheppert über die erste Metallplatte, deren einige, wie ein Flickenteppich aufgelegt sind,  wohl um die weggefaulten Bohlenbrett-Löcher abzudecken.
Wie die Säulenbeine eines Prontosaurus ragen links des Ponton die ersten vier Stelzen einer Brücke in den Himmel. Seit vier Jahren in Bau, wird diese Gangesbrücke frühestens 2020 fertiggestellt sein. Ich schaue über die im letzten Dämmerlicht matt glänzende Wasserfläche und sehe mit Erleichterung das andere Ufer näher kommen.

 
Nach weiterer Staubfahrt erreichen wir irgendwann von der Hauptstraße weg durch winzige Fußgängergassen rumpelnd das 'Elvis'-Guesthouse an einem der unteren Ghats. Die Preise am Hauptghat bewegen sich ab 1500 Rupies aufwärts - auch hier zahle ich noch 600; aber der Raum ist groß und die Dusche heiß und mit breitem Wasserstrahl.

 

Auf der Dachterrasse möchte ich mir eigentlich ein Bier gönnen; aber das kostet hier - dank riesiger 'Alcohol-Tax' 200 Rupies - also gibt es heißen Gingertee mit Garlic-Naan. Ich komme mit einem französischen Pärchen ins Gespräch und begebe mich dann ziemlich geschafft in mein Zimmer.



Am nächsten Morgen schlafe ich aus und verlasse erst gegen 8.30 h das Haus durch enge Gassen hinunter zum Ari Ghat. Noch ist es erträglich warm und ich laufe langsam, aber stetig die 12 Ghats entlang des Flusses bis zum Hauptghat in gut einer Stunde. Natürlich gibt es unterwegs viel zu sehen: Badende im Fluss - vor allem halbnackte Männer, die sich Waschen und Jungs,  die planschen und Saltos ins Wasser schlagen - hier und da Frauen, die komplett mit Sari zwölfmal untertauchen und dann Sari auswringend wieder die Stufen emporsteigen.

An in den Fluss ragenden tischartigen Steinen wird Wäsche gewaschen: Vonehmlich Männer schlagen die Laken und Kleidungsstücke bis zur Hüfte im Wasser stehend immer wieder atf die Steine, bis sie sauber oder auch löchrig sind ; )

 

Anschließend werden sie ausgewrungen und über Treppenstufen oder schräge Böschungsflächen zum Trocknen ausgelegt. Mir ist unklar, wie dabei die Auflagefläche sauber bleiben soll; aber so manches Bettlaken, das mir unterkam, trägt ja auch den entsprechenden Grauschleier ... - Clementine hätte hier mit dem 'Weißen Riesen' viel zu tun ; )

 

Hinterm Hauptghat liegt das Verbennungsghat, wo ich von 'Laladeeh' - 'I don't want money' zu einem sehr schönen nepalesischen kleinen Tempel und durch enge Gassen zu einem Aussichtsturm  gelotst werde. Direkt unter mir sehe ich eine eingewickelte Leiche auf einem Scheiterhaufen, der gerade entzündet wird - Fotographieren verboten.

 

Immer wieder werden verbrennungsbeschleunigende Pulver eingestreut und  golddurchwirkte Papierdecken dazwischen gestopft und recht schnell lodern die Flammen sehr hoch und beginnen ihr Werk. Ungefähr 4 Stunden dauert der Prozess - Hunderte von Leichen werden täglich verbrannt - die Asche wird direkt dem Ganges zugeführt - die Angehörigen hocken irgendwo im Schatten und schauen zu. Säuglinge und Kleinkinder werden ohne Verbrennung in den Fluss geworfen.

 

Später kann ich doch noch ein Foto von der zweiten Turmetage schießen, weil nun kein brennender Körper mehr sichtbar ist. Hinter dem Turm ist Verbrennungsholz mannshoch gestapelt und ich beschenke zwei dort spielende Kinder mit meinen letzten Luftballons.

Noch immer bin ich ohne Frühstück und es ist um 11.00 h brütend heiß - also folge ich immer dem Schild 'Blue Lassi Shop' durch die Altstadt  ... - und Laladeeh folgt mir - noch immer unabschüttelbar, wie ein Hündchen -  'I can show you my shop - very near'. Als ich das 'Blue Lassi' endlich finde, möchte er 'no money - only a Choclate Lassi'.

Das winzige Stübchen ist randvoll mit Touristen aus aller Herren Länder - 'lonely planet'-Empfehlung - die Preise entsprechend; aber das Granatapfel-Lassi aus irdenen Töpfchen ist auch wirklich sehr lecker !
Ich plaudere mit einem jungen Deutschen, der hier vier Monate als 'Volunteer' gearbeitet hat und nun noch zwei Monate herumreist, bevor er nach Hause fährt. Dann verabschiede ich endgültig - wie ich denke - Laladeeh und trete den Rückweg an. Ich esse eine Kleinigkeit und streune an einem kleinen Ganesha-Tempel vorbei Richtung Fluss, als ich plötzlich eine vertraute Stimme höre: 'Namaste, you remember me - I can show you my shop ...'


Innerlich laut fluchend strahle ich Laladeeh an und sage: 'Yes, please, I remember you. You had a Lassi with me and I said 'thank you and good bye' - so please, let me alone now !'
'Ok, ok' nuschelt er und ich warte, bis er wirklich in der Menge verschwunden ist. Der Rückweg zieht sich; meine Wasserflasche ist längst leer - obwohl ich stramm laufe, erreiche ich das Ari Ghat erst gegen 13.30 h und stemme mich mit letzter Kraft bei 40 Grad Celsius die 40 hohen Ghatstufen zum Ghuesthouse hoch.
Volle vier Stunden Zimmererholung gönne ich mir, bevor ich nochmals für 20 Rupies Fahrradrikscha zum Hauptghat aufbreche, denn allabendlich findet hier die Gebetszeremonie statt.

Schläfer oder Leiche ?
 
Auf dem Weg sehe ich an gleicher Stelle wie morgens einen alten Mann bäuchlings auf der Straße liegen - morgens dachte ich noch - wieso schläft der hier in sengender Hitze - jetzt denke ich - er kann nur tot sein - ein leichtes Tuch ist nun über seinen Köper gelegt, den Kopf jedoch frei lassend. Als ich die Stelle am nächsten Morgen zum dritten Mal passiere, ist er nicht mehr da ... - wer wird das Geld für seine Verbrennung aufbringen - oder landet sein Körper einfach im Fluss ?


 


Der Platz am Hauptghat füllt sich langsam mit Menschen. Ich kaufe eine blumengeschmückte Schwimmkerze und bummele runter zum Fluss. In der Dämmerung lasse ich sie in Gedenken an meinen Vater schwimmen und beobachte, wie sie sich im Kreis drehend zwischen die Boote vom Ufer entfernt.

 
Auf den Stufen aufgereiht, wie Perlen auf einer Schnur, sitzen die Sadhus in ihren orangen Gewändern mit ihrer gelb-roten Stirnbemalung und ihren wild wuchernden grau-weißen Bärten.



 

Ein rundes hochwandiges Metallgefäß vor sich aufgestellt warten sie auf Klingelgeld gutes Karma sammelder Kundschaft. Gut gekleidete Damen in Saris und Lederschuhe  tragende Herren gehen die Reihe entlang und lassen die Metalleimerchen scheppern.
Ich suche mir seitlich an einer Mauer einen Sitzplatz und treffe dort auf die freundliche Inderin Sativani, die gut Englisch spricht - in Kanada und Amerika gearbeitet hat und mir viel über Sadhus, Piester und die hinduistische Zeremonie am Ganges erzählt.


Als es dunkel wird, versammeln sich unter den 9 erleuchteten Bogen am Fluss die Priester auf kleinen Plattformen: Eintöniger Trommelgesang ertönt und zum Fluss gewendet, wo viele Gläubige in Booten sitzend der Zeremonie beiwohnen, findet die 'Puja' statt - 30 Minuten lang 352 Tage im Jahr.       


 


Kurz vor Ende bedanke und verabschiede ich mich von Sativani, denn ich möchte die Stufen hoch zurück zur Hauptstraße, bevor die Massen mich über den Haufen rennen, was mir auch gelingt.


Um den Fluss noch einmal vom Boot aus zu erleben, nehme ich früh am nächsten Morgen am Ari Ghat ein Boot, das mich mit vier anderen Touristen bis zum Verbrennungsghat fährt. Ein blassrosa Sonnenaufgang, der in immer intensiveres Orange wechselt, bietet bestes Fotolicht und vom Fluss aus, bin ich nochmal näher am Geschehen. Noch einmal setze ich eine Kerze zu Wasser, die diesmal Platz hat, frei den Fluss hinabzugleiten.

 



Am Hauptghat abgesetzt, fahre ich mit der Rikscha zurück, will bezahlen und auschecken (hier schon um 10.00 h !), doch der Elvis-Chef hat auch beim dritten Nachfragen das bestellte Zugticket nicht parat. Zwei Stunden lässt er mich warten, bevor ich endlich das Ticket bekomme und im 'Café Zoè' um die Ecke ein köstliches 'Aloogobi Kashmiri' (mit Käse gefüllte Kartoffel in rotwürziger Masala-Sauce) bestelle und anschließend einen großen guten Cappucchino bekomme.


Air Condition und WiFi gibt es gratis dazu - ich bleibe volle vier Stunden  und genieße die Kühle und Ruhe, bevor es ins nächste Abenteuer geht: Mit der Motorrikscha zum Bahnhof und per zwölfstündiger Nacht-Zugfahrt nach Khajuraho.