Mittwoch, 16. April 2014

... und ewig fließt der Ganges: Leben und Sterben in Varanasi

Die Zugfahrt nach Murghal Serai Junction - bloß 10 km entfernt von Varanasi - ist entspannt und mit gut drei Stunden nahezu angenehm. Der Horrortrip kommt diesmal per Motorrikscha, denn die lächerliche Strecke ist nicht nur unverschämt teuer - abends um 18.00 h habe ich keine Wahl - sondern straßentechnisch das Übelste, was ich bisher erlebt habe.

Müllverwertung
 Während mein 'Bahnsteiganwerber' mich beplaudert, heizt sein Bruder durch enge staubige Holpergassen, dass mir Hören und Sehen vergeht - was hier auch angebracht ist; denn sonst würde mich der schrill kreischende Hornton der Motorräder und der Anblick der haarscharf vorm Gegenverkehr gerissenen 180 Grad-Wenden schier umbringen. Selbst auf breiteren besseren Straßen ist es so staubig, dass ich meinen Mundschutz  überziehe. Als wir plötzlich den Fluss erreichen, traue ich meinen Augen kaum: Im Slalom zwischen Kühen, Müll, Fußgängern und Lastenträgern, entgegenkommenden Fahrrädern, streunenden Hunden und Motorrädern fahren wir auf eine Holzponton-Brücke zu, die keine 20 cm überm Fluss schwebt und höchstens so breit, wie ein deutsches Doppelbett ist.

Zwei engstehende, senkrechte, rote Stangen an der Zufahrt signalisieren eigentlich     deutlich, dass hier nur Fußgänger und Zweiräder passieren sollten; aber auf ein Rad mehr oder weniger kommt es in Indien eben nicht an. Unsere Karre knattert haarscharf zwischen den Stangen durch, weicht nach links sofort einem entgegen kommenden Fahrrad aus und scheppert über die erste Metallplatte, deren einige, wie ein Flickenteppich aufgelegt sind,  wohl um die weggefaulten Bohlenbrett-Löcher abzudecken.
Wie die Säulenbeine eines Prontosaurus ragen links des Ponton die ersten vier Stelzen einer Brücke in den Himmel. Seit vier Jahren in Bau, wird diese Gangesbrücke frühestens 2020 fertiggestellt sein. Ich schaue über die im letzten Dämmerlicht matt glänzende Wasserfläche und sehe mit Erleichterung das andere Ufer näher kommen.

 
Nach weiterer Staubfahrt erreichen wir irgendwann von der Hauptstraße weg durch winzige Fußgängergassen rumpelnd das 'Elvis'-Guesthouse an einem der unteren Ghats. Die Preise am Hauptghat bewegen sich ab 1500 Rupies aufwärts - auch hier zahle ich noch 600; aber der Raum ist groß und die Dusche heiß und mit breitem Wasserstrahl.

 

Auf der Dachterrasse möchte ich mir eigentlich ein Bier gönnen; aber das kostet hier - dank riesiger 'Alcohol-Tax' 200 Rupies - also gibt es heißen Gingertee mit Garlic-Naan. Ich komme mit einem französischen Pärchen ins Gespräch und begebe mich dann ziemlich geschafft in mein Zimmer.



Am nächsten Morgen schlafe ich aus und verlasse erst gegen 8.30 h das Haus durch enge Gassen hinunter zum Ari Ghat. Noch ist es erträglich warm und ich laufe langsam, aber stetig die 12 Ghats entlang des Flusses bis zum Hauptghat in gut einer Stunde. Natürlich gibt es unterwegs viel zu sehen: Badende im Fluss - vor allem halbnackte Männer, die sich Waschen und Jungs,  die planschen und Saltos ins Wasser schlagen - hier und da Frauen, die komplett mit Sari zwölfmal untertauchen und dann Sari auswringend wieder die Stufen emporsteigen.

An in den Fluss ragenden tischartigen Steinen wird Wäsche gewaschen: Vonehmlich Männer schlagen die Laken und Kleidungsstücke bis zur Hüfte im Wasser stehend immer wieder atf die Steine, bis sie sauber oder auch löchrig sind ; )

 

Anschließend werden sie ausgewrungen und über Treppenstufen oder schräge Böschungsflächen zum Trocknen ausgelegt. Mir ist unklar, wie dabei die Auflagefläche sauber bleiben soll; aber so manches Bettlaken, das mir unterkam, trägt ja auch den entsprechenden Grauschleier ... - Clementine hätte hier mit dem 'Weißen Riesen' viel zu tun ; )

 

Hinterm Hauptghat liegt das Verbennungsghat, wo ich von 'Laladeeh' - 'I don't want money' zu einem sehr schönen nepalesischen kleinen Tempel und durch enge Gassen zu einem Aussichtsturm  gelotst werde. Direkt unter mir sehe ich eine eingewickelte Leiche auf einem Scheiterhaufen, der gerade entzündet wird - Fotographieren verboten.

 

Immer wieder werden verbrennungsbeschleunigende Pulver eingestreut und  golddurchwirkte Papierdecken dazwischen gestopft und recht schnell lodern die Flammen sehr hoch und beginnen ihr Werk. Ungefähr 4 Stunden dauert der Prozess - Hunderte von Leichen werden täglich verbrannt - die Asche wird direkt dem Ganges zugeführt - die Angehörigen hocken irgendwo im Schatten und schauen zu. Säuglinge und Kleinkinder werden ohne Verbrennung in den Fluss geworfen.

 

Später kann ich doch noch ein Foto von der zweiten Turmetage schießen, weil nun kein brennender Körper mehr sichtbar ist. Hinter dem Turm ist Verbrennungsholz mannshoch gestapelt und ich beschenke zwei dort spielende Kinder mit meinen letzten Luftballons.

Noch immer bin ich ohne Frühstück und es ist um 11.00 h brütend heiß - also folge ich immer dem Schild 'Blue Lassi Shop' durch die Altstadt  ... - und Laladeeh folgt mir - noch immer unabschüttelbar, wie ein Hündchen -  'I can show you my shop - very near'. Als ich das 'Blue Lassi' endlich finde, möchte er 'no money - only a Choclate Lassi'.

Das winzige Stübchen ist randvoll mit Touristen aus aller Herren Länder - 'lonely planet'-Empfehlung - die Preise entsprechend; aber das Granatapfel-Lassi aus irdenen Töpfchen ist auch wirklich sehr lecker !
Ich plaudere mit einem jungen Deutschen, der hier vier Monate als 'Volunteer' gearbeitet hat und nun noch zwei Monate herumreist, bevor er nach Hause fährt. Dann verabschiede ich endgültig - wie ich denke - Laladeeh und trete den Rückweg an. Ich esse eine Kleinigkeit und streune an einem kleinen Ganesha-Tempel vorbei Richtung Fluss, als ich plötzlich eine vertraute Stimme höre: 'Namaste, you remember me - I can show you my shop ...'


Innerlich laut fluchend strahle ich Laladeeh an und sage: 'Yes, please, I remember you. You had a Lassi with me and I said 'thank you and good bye' - so please, let me alone now !'
'Ok, ok' nuschelt er und ich warte, bis er wirklich in der Menge verschwunden ist. Der Rückweg zieht sich; meine Wasserflasche ist längst leer - obwohl ich stramm laufe, erreiche ich das Ari Ghat erst gegen 13.30 h und stemme mich mit letzter Kraft bei 40 Grad Celsius die 40 hohen Ghatstufen zum Ghuesthouse hoch.
Volle vier Stunden Zimmererholung gönne ich mir, bevor ich nochmals für 20 Rupies Fahrradrikscha zum Hauptghat aufbreche, denn allabendlich findet hier die Gebetszeremonie statt.

Schläfer oder Leiche ?
 
Auf dem Weg sehe ich an gleicher Stelle wie morgens einen alten Mann bäuchlings auf der Straße liegen - morgens dachte ich noch - wieso schläft der hier in sengender Hitze - jetzt denke ich - er kann nur tot sein - ein leichtes Tuch ist nun über seinen Köper gelegt, den Kopf jedoch frei lassend. Als ich die Stelle am nächsten Morgen zum dritten Mal passiere, ist er nicht mehr da ... - wer wird das Geld für seine Verbrennung aufbringen - oder landet sein Körper einfach im Fluss ?


 


Der Platz am Hauptghat füllt sich langsam mit Menschen. Ich kaufe eine blumengeschmückte Schwimmkerze und bummele runter zum Fluss. In der Dämmerung lasse ich sie in Gedenken an meinen Vater schwimmen und beobachte, wie sie sich im Kreis drehend zwischen die Boote vom Ufer entfernt.

 
Auf den Stufen aufgereiht, wie Perlen auf einer Schnur, sitzen die Sadhus in ihren orangen Gewändern mit ihrer gelb-roten Stirnbemalung und ihren wild wuchernden grau-weißen Bärten.



 

Ein rundes hochwandiges Metallgefäß vor sich aufgestellt warten sie auf Klingelgeld gutes Karma sammelder Kundschaft. Gut gekleidete Damen in Saris und Lederschuhe  tragende Herren gehen die Reihe entlang und lassen die Metalleimerchen scheppern.
Ich suche mir seitlich an einer Mauer einen Sitzplatz und treffe dort auf die freundliche Inderin Sativani, die gut Englisch spricht - in Kanada und Amerika gearbeitet hat und mir viel über Sadhus, Piester und die hinduistische Zeremonie am Ganges erzählt.


Als es dunkel wird, versammeln sich unter den 9 erleuchteten Bogen am Fluss die Priester auf kleinen Plattformen: Eintöniger Trommelgesang ertönt und zum Fluss gewendet, wo viele Gläubige in Booten sitzend der Zeremonie beiwohnen, findet die 'Puja' statt - 30 Minuten lang 352 Tage im Jahr.       


 


Kurz vor Ende bedanke und verabschiede ich mich von Sativani, denn ich möchte die Stufen hoch zurück zur Hauptstraße, bevor die Massen mich über den Haufen rennen, was mir auch gelingt.


Um den Fluss noch einmal vom Boot aus zu erleben, nehme ich früh am nächsten Morgen am Ari Ghat ein Boot, das mich mit vier anderen Touristen bis zum Verbrennungsghat fährt. Ein blassrosa Sonnenaufgang, der in immer intensiveres Orange wechselt, bietet bestes Fotolicht und vom Fluss aus, bin ich nochmal näher am Geschehen. Noch einmal setze ich eine Kerze zu Wasser, die diesmal Platz hat, frei den Fluss hinabzugleiten.

 



Am Hauptghat abgesetzt, fahre ich mit der Rikscha zurück, will bezahlen und auschecken (hier schon um 10.00 h !), doch der Elvis-Chef hat auch beim dritten Nachfragen das bestellte Zugticket nicht parat. Zwei Stunden lässt er mich warten, bevor ich endlich das Ticket bekomme und im 'Café Zoè' um die Ecke ein köstliches 'Aloogobi Kashmiri' (mit Käse gefüllte Kartoffel in rotwürziger Masala-Sauce) bestelle und anschließend einen großen guten Cappucchino bekomme.


Air Condition und WiFi gibt es gratis dazu - ich bleibe volle vier Stunden  und genieße die Kühle und Ruhe, bevor es ins nächste Abenteuer geht: Mit der Motorrikscha zum Bahnhof und per zwölfstündiger Nacht-Zugfahrt nach Khajuraho.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen