Sonntag, 30. März 2014

Unbeschreiblich: Erste Eindrücke in Kolkata

Auf einem ersten Spaziergang rund um die Sudder Street, bei dem ich ein erstes 'Chicken Curry' esse, eine Karte der Stadt und ein Kingsfisher Bier besorge, verschwinde ich recht schnell wieder im Hotelzimmer und schlafe trotz ewig hupenden Straßenlärms erstaunlich gut.
Gegen 9.00 h am nächsten Morgen frühstücke ich bei 'Jojo's', schreibe mails und mache mich zwei Stunden später per Metro auf zum Kali-Tempel in Kalighat, einem südlichen Stadtteil.

Kali-Tempel


Der Tempel ist weder besonders groß, noch besonders schön, aber doch sehr hinduistisch, denn erstmals sehe ich hier noch lebende schwarze Ziegen im Hof angebunden, die hier der Göttin Kali geopfert werden. Im Tempel herrscht Foto-Verbot; also packe ich ihn weg und drängle mich barfuß mit der unglaublich dichten Menschenmenge in einen engen Zugang.

 

Viel weiter komme ich auch nicht - ein winziger Kali-Altar um die Ecke, für mich kaum einsehbar, ist derart von opferwütigen Menschen mit Blumengirlanden, Fruchtkörben und anderen Devotionalien umdrängt, dass ich bald den Rückzug antrete, um mich im Hof und den kleinen Nebenpavillions umzusehen.
 Ich bin froh wieder Sandalen zu tragen, denn eine frische Blutspur weist mir den Weg: Blicklos liegt der abgeschnittene Ziegenkopf neben einem Altar, während der aufgehängte Körper gerade seines Fells beraubt wird. Ein Barfüßiger latscht durch das Blut zum nächsten Pavillion, wo eine weitere schwarze Ziege ihres Schicksals harrt. Über Stufen versuche ich einen Blick ins Innere zu erhaschen, aber eine geschlossene Menschenmenge verstellt mir den Blick. Das heimlich geschossene Foto zeigt nur Menschenrücken - vielleicht besser so.

Debu Mukerjee
Als ich den Tempel auf der anderen Seite verlasse, sehe ich noch ein Badebecken für rituelle Waschungen und treffe im engen Gang vorm Tempel auf einen alten Mann - Debu Mukherjee - mit dem ich ein wenig plaudere, ohne seine Antworten in India-English wirklich zu verstehen. Er überreicht mir feierlich seine Karte und stimmt einem Foto zu - dann winkt er mir huldvoll zum Abschied.

Mit der Metro fahre ich nun zehn Stationen nach Norden, um die Lebensader der Stadt, den Hoogli-River und die Howrah-Bridge zu sehen. Meine Citymap ist nicht allzu hilfreich, weil die Straßennamen der Straßen nicht im Plan vorkommen und die Straßennamen des Stadtplans nicht an den Straßenkreuzungen zu finden sind.


 
 
Einzige Orientierung: Der Fluss muss im rechten Winkel von der  Metrolinie in Fahrtrichtung weglaufen. Ich folge schließlich stur diese Richtung einhaltend einer engen Gasse, die sich durchs Laden- und Marktgewimmel zieht, eine breitere Straße mit urzeitlich klappriger Tramlinie kreuzt und nach weiterem zehnminütigem Fußmarsch tatsächlich am Fluss endet.

 

Unbeschreiblich ist tatsächlich der Verkehr in dieser Gasse, die gefühlt höchstens zwei Meter breit ist: Autos, hochbeladene Fahrradikschas, menschgezogene hochrädrige Karrenrikschas (gibt es nur noch hier !),


Motorräder, Fahrräder und Fußgänger quetschen sich hier in beiden Richtungen zwischen Barbierläden, Schneiderlädchen, Stofflädchen, Miniküchen, Straßenständen mit Obst, Gemüse, Chai, Chapati und Zuckerrohrpressen.
Auch hier dominiert das Gehupe der Motorräder, die allerdings weniger zahlreich, aber dafür PS-stärker und mit unzurechenbaren Fahrern ausgestattet sind. War in Vietnam die Devise: Keep going - slowly ! - kann das hier absolut tödlich sein.
 
Die indische Variante lautet also eher: 'Wait - watch and run for your life !'  Ich laufe die Brücke hinauf, die eine Stahlkonstruktion in Eifelturmmanier darstellt; aber das eigentlich Faszinierende ist auch hier der Verkehrsfluss. Auf einem breiten Bürgersteig rechts und links laufen Menschen mit Tragestangen, an denen gestapelte Körbchen hängen - was drin ist, weiß ich nicht, aber der in den Knien abgefederte Trippelschritt lässt Schweres vermuten.

 

Dort laufen Menschen mit riesigen schweren Säcken auf dem Kopf, Frauen mit Kindern und Gemüse-Karren, Bettler mit Krüppelbeinen und Kücken und Männer mit Bauchläden mit Obst. Auf dem gleichen Gehweg liegen Schlafende, deren T-Shirts mehr Löcher, als Stoff aufweisen, deren Füße mehr Schmutz, als Haut aufweisen und deren Haare wirr und Schmutz verklebt sind.


Eine hüfthohe Absperrung trennt sie alle vom vierspurig fließenden Verkehr, der aus hupenden Bussen, Autos, Motorrädern, Fahrradrikschas und handgezogenen Lastkarren besteht. Letztere erinnern mich an Ameisenstraßen im Wald: Denn auch diese Tierchen können bekanntlich das Hundertfache ihres Gewichts bewegen, genau wie die dürren Männchen hier, die unglaubliche Lastkarren die Brücke hinaufzerren oder -schieben.

In der Mitte der Brücke sitzen in kleinen Holzhäuschen auf beiden Seiten jeweils Polizeibeamte. Den Verkehr regeln sie nicht; aber eine ihrer Aufgaben scheint es zu sein, fotografierenden Touristinnen zu sagen, dass das Fotografieren auf der Bücke nicht erlaubt ist - da ich weit und breit die Einzige bin, ein ruhiger Job. ... - und die Brücke ist lang ; )

 

An beiden Ufern befindet sich unter den Uferpfeilern ein Markt, der neben kloakigem Matsch vor allem den Verkauf von Kat (Tabakblätter mit Betel und Kalk) und Blumenketten für den Tempelbedarf, aber auch Obst und Gemüse bietet.

Sicherheitshalber nehme ich zurück zur Metro-Station den selben Weg und plaudere auf der Fahrt mit einer pfiffigen Siebenjährigen, die bereits unglaublich gut Englisch spricht (ab und zu soufflieren Mama und Tante von rechts und links) und mir erzählt ihre Tante wohne in Stuttgart; Deutschland müsse ein schönes Land sein ; )
Wie recht sie hat; dennoch tut mir die Wärme hier äußerst gut und trotz leichtem Smog zeigt sich immer wieder auch die Sonne bei gefühlten 28 Grad Celsius.


Ziemlich platt ob der vielen Eindrücke, sitze ich eine Stunde in einer vornehmen 'Bakery' mit Türsteher, Aircon, Plastikhandschuh-Bedienung und Marmor-Toilette. Die Preise sind entsprechend - plus 14% Tax obendrauf: Was ich gestern fürs komplette Abendessen gezahlt habe, geht hier für Cappucchino und Muffin drauf - für 3.- Euro dennoch verkraftbar ; )

 
 
Bevor ich ins 'Maria' zurückfinde, werde ich in bestem Englisch von drei Studenten mit Kamera angesprochen, die wissen wollen, wie Indien auf mich wirke, ob ich mich 'sicher' fühle und was sich meiner Ansicht nach verbessern ließe. Nach erst einem Tag fällt meine Antwort freundlich aus - ohne Kamera füge ich noch ein paar Worte über den unzureichenden Stellenwert der Frau in Indien an ... - sie bedanken sich - zu spät fällt mir ein, dass ich um ein Revanche-Foto hätte bitten können.
Morgen früh werde ich zu einer zweitägigen Tour in die Sunderbans starten - mal sehen, was das ländliche Bengalen zu bieten hat.


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