Mein Couchsurfer in Santiago ist ein netter frisch gebackener Rechtsanwalt, der in einer kleinen Messi-Bude im Zentrum für 200 US-Dollar Monatsmiete lebt. Da er arbeiten muss, ziehe ich los um mir einen Eindruck von der City zu verschaffen. Auch die folgenden Tage hat er höchstens Zeit meine gekochte Suppe mitzuessen - am Wochenende macht er Party ohne nach Hause zu kommen - so viel zur chilenischen Kontaktfreude - er hatte mich immerhin angeschrieben !
Das Kunstmuseum direkt um die Ecke hat ein hübsches historisches Gebäude - die Ausstellung ist leider hässlich bis grässlich: Schwülstige Kunststoff-Erotik mir völlig unbekannter 'Künstler' - eine einzige interessante Plastik im Vorraum versucht mich zu versöhnen.
Auf der Straße schrille penetrante Polizeisirenen - abgesperrte Straßen.
Ich will zur Plaza Armas, aber überall marschieren Demonstrantenzüge auf - lautes Trommeln und Rufe im Chor - hunderte ausschließlich junge Leute - die Polizei ist wartend präsent. Ich höre mir das Spektakel von Ferne auf einer Parkbank mein Buch lesend an. Als ich später den Rio Mapuche kreuze und zur Avenida Recoleta komme, sieht mir alles so heruntergekommen aus, dass ich wieder umdrehe.
Ich kreuze den nun dünner fließenden Demonstrantenstrom auf der Suche nach etwas Essbarem. Keine 100 m weiter hole ich mir ein Eis - die Sonne scheint mal ; )
Als ich noch bei Grün über die Straße eile, kommen zwei Wasserwerfer die Straße entlang und legen kurz darauf auf der Kreuzung hinter mir los. Ich sitze auf einem Brunnenrand und esse mein Eis - Chile ist sicher ! Einige Passanten zücken den Foto und schießen Bilder von der Wasserschlacht. Das Schokoeis ist köstlich. Familien mit Kinderwagen, abgerissene Betrunkene, rasch vorbei eilende Stöckelschuhe, schlendernde Turnschuhe, blankgeputzte schwarze Lederschuhe - Nicht alle Frauen tragen ihre Handtaschen schräg über Kopf und Schulter gekreuzt - Santiago ist sicher !
Ich gehe weiter zur Plaza Armas und begegne einem neuen 8er Grüppchen 'Guardia civil' - ein Polizei-Motorrad-Konvoi biegt knatternd um die Ecke. An der Plaza spielen die obligatorischen Panflötenindios ihre Lieder, Straßenkünstler haben ihre meist kitschig bunten Gemälde aufgebaut. Ein hopsender Mann mit Fußschellen an den Fesseln bedient sein Ein-Mann-Schlagorchester - die Pauke wummert im Takt seiner Schritte. Die Cathedrale ist absolut düster, lichtlos und eiskalt - kein Jesus, eine rosagewandete Maria mit Kind und lilafarbenem Umhang füllt den Altartisch. Ein alter Mann im Rollstuhl schiebt über die Plaza auf einem Brett auf dem Schoß 6 Plüsch-Wackeldackel, die er verkaufen möchte. Ein junger Mann in Jogginghosen bietet Sicherheitsnadeln im Zehnerpack feil !
Vor der Kirche sitzt ein Bettler, der seinen Fußstumpf gut sichtbar positioniert hat - ein Vierergrüppchen Damenpolizei mit Dutt und Käppi. Ich hole mir eine Empanada und gehe weiter zu 'La moneda' dem alten Jahrhundertwendebau im Bankenviertel, wo sich Tür an Tür die Großbanken reihen - gelbe Sicherheitstransporte - schwarzrote Security-Leute überall - Chile ist sicher !
Die Schlipsträger im 'Cafe Caribe' nehmen ihren Kaffee an winzigen weißen Hochtischchen im Stehen - keine Zeit verlieren in der Moneda-Welt - dafür kann man beim Schuhputzer um die Ecke in der Zeitung lieber noch schnell einen Blick in die Börsenkurse werfen. 500 CLP, also ca. 80 Cent kostet der Service. Was die Schlipsträger fürs Geld bewegen bekommen, weiß ich nicht.
An der Universität vorbei gehe ich im Bogen zurück zur Plaza Armas. Direkt neben der Kirche hält ein Puppenspieler Zwiesprache mit seiner Katzenhandpuppe - eine große Menschenmenge lauscht und lacht - ich verstehe zu wenig, um mitzulachen. Unermüdlich spielt die Panflötengruppe - weiter hinten setze ich mich auf eine hochlehnige Bank und höre einer kleinen Jazzband zu. Ein 'Bergarbeiter' ganz in Bronze mimt Statue und bewegt sich bei Münzgeklapper. Alte Männer sitzen schweigend auf den Bänken - entfernt ziehen wieder Demonstranten mit Transparenten vorbei 'Educacion por el populo' - ein Paar sitzt knutschend auf der Bank gegenüber. Ein Luftballonverkäufer zieht missmutig seine Runde.
Ich schaue in viele Gesichter und sehe kein Lächeln - meine Kamera fehlt mir hier nicht ! Ach, wie ich mich auf Asien freue ! Aber - Santiago ist sicher.
Arm oder reich - hier sind alle gleich - kein Lächeln in Sicht - das gefällt mir nicht !
Bei diesigem wolkenverhangenem Smogwetter besuche ich am zweiten und dritten Tag Cerro Santa Lucia und den hohen Cerro Cristobal. Zweiterer birgt einen Zoo, eine kleine Seilbahn, im Sommer ein riesiges Freibad und viel Platz zum Radeln und Laufen.
Ich genieße die Wanderung hoch zur Madonna 'Immaculada', einer weißen Statue am Gipfel und wandere dann 4 km zur anderen Seite hinab bis zu den wohlhabenden Barrios. Zurück nehme ich die U-Bahn - Südamerika ist ausgereizt ... - ich freue mich nun auf Neuseeland !
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