Mittwoch, 16. Oktober 2013

Regentag am Mount Cook: Eine kleine Kurzgeschichte

Diese Geschichte entstand an einem langen Regentag und ist selbstverständlich frei erfunden. Eventuelle Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind daher rein zufälliger Natur ; )

Fotoshooting japaneese


'Singleroom' oder Multikulti im Female-Dorm


Als sie die Tür öffnet, trifft sie fast der Schlag. Hier sieht es aus, wie bei ihrem 19jährigen Sohn zu Hause - nur eben - weibliches Chaos. Der einzige Tisch ist vollgeräumt mit Schminkutensilien, Cremetiegelchen, Shampoo, BHs, Werbe-Broschüren, Bürste und Lippenstift; ein überdimensionaler pinkfarbener Hartschalenkoffer steht vorm Doppelstockbett am Fenster, dessen oberes Bett mit Klamotten übersät ist und auf dem unteren zweiten Doppelstockbett gegenüber, das unbesetzt ist, fläzt sich ein junger Japaner in Baseballkappe mit dem Laptop neben sich.

"Oh, hi", zwitschert eine Stimme und ein langhaariges mandeläugiges Mädchen schaut hinter einem herabhängenden Handtuch hervor. Sie hat ebenfalls einen Laptop auf dem Schoß und grinst verlegen. "Hi", erwidert die Frau tonlos und noch bevor sie den Rucksack abstellen kann, springt die Japanerin vom Bett, zupft ihren Freund am Ärmel und meint:
" No problem, we can go to the lounge, ok ?" Das Mädel hat wohl ein schlechtes Gewissen - klar, das hier ist ein reines Damenzimmer.
"That would be nice", erwidert die Frau schwach und setzt den Rucksack ab, während die beiden an ihr vorbei zur Tür flüchten; das Chaos hinter sich lassend. Wumms - die Tür fällt ins Schloss. Uff ! Glück gehabt ! Da hat sie schon mal tief in die Tasche gegriffen und statt dem gemischten Achtbettzimmer das 'Four-Female-Dorm' im ohnehin teuren Queenstown gebucht ... - und dann sowas ... !

Nach der langen Busfahrt mit Dauerbeschallung braucht sie erstmal eine heiße Dusche und ein bisschen Ruhe. Die Dusche ist in der Tat herrlich und dann macht sie es sich im zweiten oberen  Doppelstockbett bequem. Lesen, Tagebuch schreiben - die Zeit vergeht im Flug und sie ist wirklich müde heute. Um 21.00 h verschwindet sie nochmal im Bad, dann schläft sie tatsächlich auf dem Bett ein.
Irgendwann später nimmt sie Stimmen wahr - kurz Licht - es wird wieder ausgeschaltet. Tür auf, Tür zu - noch später in der Nacht Gekicher an der Tür - Kauderwelsch - sie dreht sich rum und schläft weiter.

Ein immerhin melodisches Handygeklingel weckt sie - bei der zweiten Melodiewiederholung wird es abgeschaltet. Im Zimmer ist es fast stockdunkel, dennoch erkennt sie bei einem zwinkernden Rundblick, dass die anderen Betten besetzt sind. Sie schließt die Augen und döst ... - kurz darauf ertönt erneut die Handymelodie; noch während sie abgeschaltet wird, fragt eine ungedämpfte Stimme: "Sorry, what time is it ?" Die Japanerin schaut runter ins Bett unten gegenüber.
"Half past seven", ist von dort die geflüsterte Antwort zu hören. Nun steht unter der Frau leise jemand auf, verschwindet im Bad, Wasserspülung, kleines Flurlicht, zehn Minuten leises Rascheln, Türklappen, Stille. Da muss jemand den Bus kriegen, denkt sie noch und schläft weiter ...

Ratsch ! Der Vorhang wird zurückgerissen und Tageslicht flutet urplötzlich in den Raum. Ihr zottiges Kuscheltier im ausgestreckten Arm haltend reckt sich das Mädel im pinkfarbenen Pyjama und hopst unter Gequietsche der Bettfedern nach unten. Das grelle Deckenlicht flammt auf ... - Im Bett unter ihr zieht jemand stöhnend die Decke über den Kopf.
"Could you, please, switch off the light ?", presst die Frau nuschelnd heraus. "Oh, sure I can - the small light is ok ?", kommt die Antwort mit hellem Minnimaus-Stimmchen - woraufhin das Deckenlicht aus-  und das Tischlicht angeknipst wird.
Nicht stören lassen, denkt die Frau, kein Bus heute - entspann dich !

Wumms - die Badezimmertür fliegt zu, die nächsten zehn Minuten hört sie nur das gleichmäßige Rauschen der Dusche durch die Wand; die Tür geht wieder auf ... - sie rüstet sich fürs 'Wumms', aber es bleibt aus. Sie seufzt wohlig - dreht sich zur Wand ...
Huiiiiiiiih - ohne Vorwarnung bläst der Föhn in voller Lautstärke los, während die Japanerin im Herzchenshirt vorm Spiegel sitzt und ihre Haare föhnt. Die Frau im Bett unterdrückt eine Unmutsäußerung und sieht aus dem Augenwinkel, während sie auf ihre Uhr schaut, - 8.20 h - wie das vermummte Wesen im unteren Bett sich einen Deckenzipfel auf die Ohren presst.
Irgendwann verstummt der Föhn - na, also - jetzt wird dieses Mädel ja wohl verschwinden oder endlich leise sein. Klick-klack - da klappt der große Koffer auf. Zwischen den Stäben des Bettes schaut die Frau nach unten. Die Hände, die zum schwarzen Feuchthaarschopf gehören, beginnen systematisch verschiedene Plastiktüten im Koffer zu durchsuchen. Raschel - raschel, knister - knister ... - dann plötzlich nochmal der Föhn ... - huiiiiih !

An Schlaf ist nicht mehr zu denken. Wozu hat sie das Luxuszimmer mit TV ? Sie setzt sich kerzengerade auf und greift zur Fernbedienung. Vielleicht kann sie wenigstens die Wetternachrichten kriegen. Sie schaltet das Gerät ein.
Der Föhn schweigt endlich wieder  - sie drückt den Programmknopf und schaltet den Ton sofort von 11 auf 6 runter - Flüsterlautstärke ... - Frühstücksfernsehen: Eine strahlende Blondine erklärt, wie frau die besten Muffins macht. Sie schaltet ins nächste Programm: Werbung. Sie drückt gerade zum dritten Mal auf den Knopf, da ertönt die empörte Stimme der frisch Frisierten: "Schhh - please! Can't you turn down the volume ? - Somebody is still sleeping ... you are not alone in the room ... "

Die Frau kann es nicht fassen: " ... but YOU were the one, who switch on the light and make such a noise with the hairdryer and ... "  Das Mädchen unterbricht eine Tonlage höher: " ... that's different ! - I can't get a cold; but anyway, if you need privacy to watch TV in the morning, why don't you take a singleroom ?"

Nicht aufregen, sagt sich die Frau - ... einundzwanzig, zweiundzwanzig ... - Reden ist silber, Schweigen ist gold ! Sie schafft es zu schweigen - sie ist stolz darauf, schaltet den Fernseher auf 3 runter und versteht jetzt gar nichts mehr; aber es laufen ohnehin keine Wetternachrichten ... -  und dass es draußen regnet, kann sie durchs Fenster sehen !
Zehn Minuten später ist die Japanerin verschwunden - den Riesenkoffer hat sie sogar zugeklappt und an de Wand gestellt. Stille - unfassbare Stille ! Soll sie jetzt aufstehen ?
Nein; sie schaltet den Fernseher aus und dreht sich zur Wand. Es regnet und es ist erst 8.55 h   - sie legt sich hin und atmet einmal tief durch.

Da regt sich etwas im unteren Bett. Ein Mädchen mit dunklem gewelltem Haar setzt sich auf, greift nach ihrer schwarzrandigen eckigen Brille und schlägt die Decke zurück. Mit Schlabberhose, langem Shirt und dünner Strickjacke bekleidet verlässt sie das Bett und verschwindet mit Kleiderbündel im Bad.
Als sie zurückkommt ist sie fertig gekleidet in Leggins, darüber ein langer Rock und eine lange, lose fallende Bluse. Sie schaut unsicher kurz zum Bett hoch. "Morning", sagt die Frau freundlich.
Ein gemurmeltes "Morning" mit unwilligem Niederschlagen der Augen ist die Antwort. Nicht sehr gesprächig, denkt die Frau, die nicht mehr schlafen kann und noch nicht aufstehen will.

Unter halb geschlossenen Lidern beobachtet sie, wie das Mädchen drei verschiedene Schals aus ihrer Tasche zieht und sorgfältig auffaltet. Ein gemusterter breiter Schal wird über das Haar gebreitet, so dass rechts ein Drittel und links zwei Drittel nach unten fallen. Nun wird das lange Ende des  Schals eng unterm Kinn über die rechte Schuler nach hinten gelegt, die überstehenden offenen Seitenteile am Gesicht nach innen gefaltet, das lange Ende hochgeschlagen und mit zwei Nadeln auf dem Kopf festgesteckt. Das zweite Tuch wird um die Taille gelegt und überm Rock getragen. Das dritte Tuch wird locker um Hals und Schultern drapiert.
Nun wendet sie sich zur Zimmerecke, verbeugt sich, geht auf die Knie und beginnt lautlos murmelnd mit Verbeugungen die Stirn den Boden berührend zu beten. Die Frau im Bett dreht sich geräuschlos zur Wand und stellt sich schlafend. Erst als die Zimmertür leise geschlossen wird, schlägt sie die Decke zurück und steht auf.

Ein bisschen Morgenregen, denkt sie, könnte jetzt sehr erfrischend sein !

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