Dienstag, 23. Juli 2013
Busfahren brasilianisch
Nach zwei Wochen Reiseerfahrung hier nun ein kleiner Bericht, wie frau von A nach B kommt:
Schon im schönen Rio lernt frau das faszinierende Bussystem kennen. Busse fahren dort jederzeit, zweispurig, direkt Stoßstange an Stoßstange und in alle Rchtungen - frau müsste nur wissen, wo sie halten und wohin sie fahren. 007 war die kleinste, 2000irgendwas die größte Nummer, die ich an Bussen gesehen habe - alles ist drin.
Ob eine Haltestelle oder quer durch die ganze Stadt: Solange du nicht aussteigst, zahlst du immer 2,75 RS (ca. 1 Euro) - sobald der Bus gewechselt wird, kostet es erneut - umsteigen also nicht erwünscht.
"Onibus Ipanema ? Donde esta?" Schulterzucken oder ein dreiminütiger Wortschwall auf Portugisisch - zwei Arme zeigen in drei Richtungen - Das sind Antworten, die ich bekomme.
"Do you speak english ?" - Fehlanzeige oder "I'm sorry, Onibus dificuldade, I don't know".
Also einfach mal reingesprungen in einen Bus, der in schneller, stakkatoartiger Wechselfolge vorne auf dem Anzeiger Busnummer, Zielort und Zwischenstationen benennt. An der Haltestelle selbst ist bestenfalls ein dunkelblaues Schild mit Busabbildung angebracht - keine Nummern, keine Fahrpläne - wozu auch ?
Die Busse rauschen so schnell in Reihe an einem vorbei, dass die Zeit zum Fahrplanlesen Verschwendung wäre - denn, wenn frau zusteigen möchte, muss sie flugs die Hand hochreißen und beherzt zum Straßenrand springen, sonst hält der Bus erst gar nicht an.
Im Prinzip fahren alle Busse grob vom/ nach 'Centro' über Lapa oder Gloria, weiter entlang Flamenco, Botafogo, durch Leme und Copacabana nach Ipanema und weiter ... - welche Straßen sie dabei anfahren ist oft auch gestandenen 'Cariocas' (Einwohner Rios) ein Rätsel, da das zweispurige Einbahnsystem die Sache nicht einfacher macht.
Fährt ein Bus von Copacabana nach Ipanema, fährt er z.B. immer parallel zum Strand im zweiten Block - zurück fährt er aber eine andere Parallelstraße im dritten oder vierten Block und ob er dabei nochmal eine Schleife durch Leme fährt oder nicht, das wissen die Götter ; )
Ist frau dann mal eingestiegen und hat bei dem auf einem Podest thronenden Schaffner bezahlt, muss sie den Handgepäckrucksack in Achselhöhe über ein äußerst massives Drehkreuz hieven und mit heftigem Schwung dagegen stemmend passieren - immer in der Hoffnung, dass der Rucksack auf ihrem Rücken folgen wird, ohne stecken zu bleiben.
Dennoch ist Busfahren in Rio eine spannende und praktische Sache, zumal frau bei Fehlversuchen immer wieder das Pflaster unter die Füße nehmen, sich dabei fit halten und völlig unvermutete Entdeckungen machen kann. (Lapa: Künstlertreppe ; )
Andererseits gibt es willkommene Erholungsphasen, wenn frau z.B. auf den Bus zurück wartet, der in der nächsten Seitenstraße zurückfährt, weil der selbe Rückweg (keine Einbahnstraße ) zu simpel wäre. Bis frau das Problem erkennt, ist ruckzuck mal ein halbes Stündchen vergangen und die schmerzenden Füße sind wieder erholt.
Bei Überlandfahrten ist die Sache da gleich durchschaubarer: In der 'Rodaviaria' (große Busstation) - meist etwas außerhalb an einer mehrspurigen Kreuzung gelegen - hat man die Auswahl zwischen 2 - 8 verschiedenen Busgesellschaften, doppelt so vielen Schaltern und etlichen Zielen.
Möchte frau z.B. um viertelnacheins ein Ticket für den Zwei-Uhr-Bus nach Angra dos Reis kaufen, kann der aber schon ausgebucht sein, so dass sie dann erst den Drei-Uhr-Bus nehmen kann und das letzte Fährboot zur 'Ilha Grande' verpasst ; )
Kleinere Ortschaften - größere Herausforderungen: Hier braucht es oft hellseherische Fähigkeiten zu erfassen, wo sich überhaupt eine Haltestelle befindet, denn ein kleiner Ort, wie Ubatuba hat zwar drei Busbahnhöfe, aber der Bus nach Caraguarátatuba hält an keinem der drei, sondern vor der Polizeistation (kein Schild) und vorm Supermarkt am Park ; )
Solchermaßen geschult, bin ich gerade auf dem Weg nach Santos, wo ich nach 200 km und theoretisch 5 Stunden Fahrt ankommen sollte, aber auch nach sechs Stunden Fahrt (Stau - Schritttempo !) noch immer nicht da bin; also nutze ich die Zeit zum Schreiben.
Dass Überlandfahrten so langwierig sind, liegt weder an schlechten Straßen, noch an altersschwachen Bussen ... - im Gegenteil: Die Straßen sind gut mit breitem Randstreifen, die Busse komfortabel mit weit zurückstellbaren Sitzen, Preise eher zufällig, aber überschaubar .... - es kann daher nur drei Gründe für die Langsamkeit geben:
1. Jedes Kaff in Reichweite wird angefahren; dazu wird nicht nur die Hauptstraße verlassen, sondern auch im Kaff reichlich spazieren gefahren und mehrmals gehalten - dann , geht es oft 'retorno' erst wieder zurück zur Verbindungsstraße.
2. In jeder Ortschaft, aber auch vor und nach Ein-/ Ausfahrten, Kreuzungen, Kreiseln oder einfach mal so gibt es reichlich hohe, gelb-schwarz markierte Bremsbuckelschwellen über die komplette Fahrbahn. Der Bus, der mit 60 daherkommt, bremst voll ab, schaukelt dadong-dadong über den Buckel und nimmt röhrend wieder Fahrt auf ... - bis zum nächsten Buckel.
Das Geld für die eingesparten Bushaltestellenschilder wurde übrigens offensichtlich in riesige gelbe Schilder mit schwarzem Buckel und Pfeilen drauf investiert, die beidseitig an jedem Buckel aufgestellt sind, um vor dem Buckel zu warnen ... - es müssen Millionen im ganzen Land sein !
3. Auf kurvigen Strecken, auf viel befahrenen Strecken bilden sich gerne mal Staus, die der Bus natürlich alle mitnimmt. Hat er nach kurvenreicher Fahrt vielleicht endlich den mit 30 dahinschleichenden Laster überholt, biegt er mit Sicherheit ins nächste Kaff ab und bremst am Schaukelbuckel erstmal ab ....
Die vorläufige Krönung der Busfahrtabenteuer erlebe ich nach dem Flug vom Aeroporto Congonhas nach Campo Grande (sprich: Granche). Dort angekommen suche ich brav die von Luciano genau beschriebene Palme gegenüber des Flughafens an einer großen Straßenkreuzung auf (Schild gibt es natürlich keines) und warte ... und warte - plaudere mit Händen und Füßen mit verschiedenen Menschen - si, Miranda - und warte ... der Bus wird mir für halbdrei, 'tres mas o menos', 'tres y media' angekündigt; allein - er kommt nicht !
Als ich der Verzweiflung nahe bin (halb verhungert und verdurstet ohnehin) und mehr als zwei Stunden gewartet habe, kommt er schließlich um 16.05 - Hallelujah !
Für die ca. 230 km bis Miranda sind es nun nochmal dreieinhalb Stunden Fahrt.
Fazit: Das täglich Brot des Reisens ist Warten ... - entweder auf den Bus oder im Bus aufs Ankommen, aber der Weg ist eben das Ziel ; )
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